Laudatio zur Ausstellung "chemical beauties" von Nina Dunkmann

24.05.2016 18:23

Laudatio Kerstin Müller-Schiel

Duisburg, Goldstraße
Freitag, 29.04.16
 
Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kunstfreunde und liebe Kerstin Müller-Schiel,
ich begrüße Sie alle herzlich zur Eröffnung der Ausstellung „Chemical Beauties“
 

es ist die erste Einzelausstellung von Kerstin Müller-Schiel hier in der Goldstraße. Sie hat diese Ausstellung, wie es hier Tradition ist, selbst komponiert und gehängt. Es sind um die 20 Arbeiten unterschiedlichster Größe und Gattung, mal auf Papier, mal auf Leinwand, mal in Form einer eher lavierenden Tuschearbeit, mal als sehr pastose, Schicht um Schicht aufgebaute Collage und Mischtechnik. Die rahmenlose Hängung an der Wand verbindet die Einzelwerke zu einer Art Rauminstallation.

Zunächst einige biographische Daten zum Einstieg:

Die Malerin ist hier in Duisburg geboren, sie hat Kommunikationsdesign an der FH Niederrhein studiert und als Diplomdesignerin abgeschlossen. Dann hat sie sich aber zusätzlich für ein Kunststudium an der „Freien Akademie der bildenden Künste“ (Fadbk) entschlossen und 2013 mit Auszeichnung abgeschlossen. Sie war Meisterschülerin bei Wolfgang Hambrecht und Stephan Paul Schneider. Seitdem gibt es zahlreiche Einzelausstellungen und Ausstellungsbeteiligungen.

Wenn man sich mit dem Werk von Kerstin Müller-Schiel befasst, fällt auf, dass sie sich konsequent mit dem menschlichen Körper, mit Erotik und Weiblichkeit beschäftigt. Aber lassen Sie sich vom Titel „Chemical Beauties“ nicht verführen. Ich glaube nämlich, dass dies hier gar nicht im Vordergrund steht. Sie löst sich immer mehr vom Pittoresken, vom Situativen. Fast gesichtslos sind diese Beauties, bis zur Unkenntlichkeit überarbeitet, ein Frauenbild, das sich uns dank Kosmetik und plastischer Chirurgie auch in der Realität immer häufiger bietet. 

Die Ausmaße der Zeitschriften und Magazine aus denen ihre Vorlagen immer wieder stammen geben häufig das Format vor. Es können aber auch Fotovorlagen, sogar selbst gemachte Fotos sein, die die Grundlage für ihr malerisches Arbeiten schaffen. Vorlagen werden übermalt oder abgemalt.

Gestatten Sie mir einen Exkurs: Denn die Vorlagen aus der Werbung gibt es ebenfalls in der Pop Art, die ich in der LUDWIGGALERIE Schloss Oberhausen vor Augen habe. Auch hier geht es um die Tilgung von Persönlichkeit im Bildnis:

Warhols Marilyn Monroe ist ganz glatt, sie ist nur Oberfläche, nicht Tiefe, sie ist nur blond, Kussmund, Schönheitsfleck. Mel Ramos Frau ist nur Schablone und Lichtensteins Bilder scheinen in ihrer Reduktion etwas zu sein was sie aber gar nicht sind. Seine Bilder scheinen wie Comic, sind aber keine, bedienen sich nur des Vokabulars, während Kerstin Müller-Schiels Arbeiten scheinen wie Porträts - ich kann z. B. Unterscheidungen treffen hinsichtlich Halbfigurenporträt, Schulterstück oder Kopfbild - sie scheinen so kleiden sich aber vielleicht nur in ein Gewand...?

Sie sehen, obwohl man einen völlig anderen Stil vor Augen hat, lassen sich trotzdem Parallelen finden, z. B. in auch diesem Eindruck von künstlich, von nicht echt, der uns keinen Zugang gewährt, jedoch ohne jegliches Interesse am Dekorativen wie bei der Pop Art. Auch Kerstin Müller-Schiel bleibt sehr in der Fläche, bei Schönheit geht es schließlich immer nur um die Oberfläche.

Ich habe aber doch das Gefühl, dass in den Bildern von Kerstin Müller-Schiel Tiefe ist, dass sie mir etwas verraten wenn ich mich intensiv mit ihnen beschäftige und das tue ich, denn sie machen mich neugierig. Sie haben etwas, was den Blick festhält, sie stellen uns eine Aufgabe. Vielleicht geht es um das Übertragen eines Gefühls das mancher als Melancholie beschreiben würde, das man aber nicht so beschreiben muss, so ist das eben mit Gefühlen...

Kerstin Müller-Schiels Wiedergabe geschieht nicht im Sinne von Naturalismus oder Realismus, sondern im Prozess der Abstraktion einer Figur in Flächen, Farben, Formen, in Hell und Dunkel und damit hilft sie uns Betrachtern

uns von der interpretierenden Wahrnehmung zu lösen. Wir, die wir nicht anders können als Erkennen: Ohr, Nase, Mund, und die wir auch ständig zu erkennen suchen. Sie löst sich völlig von der Vorlage. Das sind keine bestimmten Menschen mehr, selbst dann nicht, wenn das eigene Bildnis den Ausgangspunkt bildete. Das sind also keine „Selfies“ die Sie hier sehen, ich bin mir noch nicht einmal sicher, ob es noch Porträts sind. Emmanuel Mir hat über ihre Arbeiten gesagt: „es sind Porträts, die sich weigern welche zu sein.“

So ist auch das Zeigen von Gesichtern eher untypisch für sie. Selbst das Geschlecht lässt sich nicht immer sicher ablesen. Die Biographie der Dargestellten hat keine Relevanz, sondern viel mehr der malerische Prozess der Entfremdung. Kerstin Müller-Schiels Ausführungen bleiben skizzenhaft im Bereich der Andeutung. Ich traue mich jetzt sogar einen Vergleich zur Karikatur zu ziehen, natürlich nicht im Sinne der Komik, sondern im Sinne des treffenden Ausdrucks durch Reduktion. Das hat mit intuitivem Erfassen zu tun, glaube ich. 

Die Malereien haben meist keinen Titel, Kerstin Müller-Schiel möchte so wenig Geschichte wie möglich erzählen, sich der Deutung erwehren und demBetrachter keine Vorgaben machen. Wir können eher assoziativ zu einem Eindruck gelangen. Und dieses Ignorieren der Person verunsichert uns Betrachter, lässt uns vielleicht sogar ärgerlich werden. Auf mich wirkt das was sie macht, gar nicht unpersönlich sondern doch eher intim.

Besonders das kleine Format schafft Intimität. Intimität für Experimente, denn auch darum geht es hier. Die chemischen Schönheiten meinen auch ein Nachdenken über Werkstoffe über Elemente. Sie zeigen neben der düsteren oder der giftig leuchtenden Beauty auch das Interesse am malerischen Prozess. Stoffe werden reduziert oder verbunden. Manchmal gibt es den ganz großzügigen, manchmal den sehr sparsamen Umgang mit Farbe. Die Arbeiten in Tusche, ohne Grundierung auf die Leinwand aufgetragen, befinden sich schon an den Grenzen zur Abstraktion. Das ist eine Art der Malerei, die keine Fehler verzeiht. Und es sind Arbeiten, die sich im Trocknungsprozess manchmal noch stark verändern. Ihnen gegenüber stehen Werke in Öl und Acryl. Malerei, Zeichnung und Collage vermischen sich. Stil, Gestus und Ausdruck drängen sich vor das Motiv. Wir sehen die Freude am Malen selbst, als sinnliche Erfahrung. Der malerische Duktus ordnet sich dem Sujet nicht unter - er herrscht über es.

Was ist die Kulisse für diese Gestalten? Das Blatt oder die Leinwand selbst werden zum Ausdrucksmerkmal. Nicht im Sinne eines Kontextes an den sich die Figur anschmiegen kann, sondern mehr als Leere oder Dunkelheit - zum Abrutschen glatt. Die Nacktheit der Figur ist dann eigentlich die Nacktheit der Leinwand. Weiß gibt es dann nur durch Weglassen. Linien und Konturen verschwimmen bis zur Unkenntlichkeit. Kerstin Müller-Schiel nimmt sich die Freiheit nicht alles auszuformulieren.

Es ist das Durchscheinen, Verschwinden, Auflösen von Figur wie man es von Fancis Bacon kennt und das uns irgendwie beunruhigt. Das stellt mich auch noch vor die Frage: Ist diese Verwandlung, die sie vornimmt eine Entstellung?

Ich denke eher nicht. Es gibt zwar eine Zerstörung aber auch Überhöhung des Schönen, Perfekten, Glatten. Es sind diffuse Bilder, die formal an Marlene Dumas erinnern könnten, die jedoch ein ganz anderes Movens haben. Die Dargestellten tun nichts, außer eine Pose einzunehmen, die, aus dem Alltäglichen herausgehoben, fast überzeitlich wirkt. Sie sind Projektionsfläche für eigene Beobachtungen.

Suchen Sie sich selbst in den Bildern!

Sind das wirklich noch Menschen auf diesen Bildern, fragte Emmanuel Mir, und da sind wir beim Thema dieser Beauties. Es geht eben nicht nur um Kunst, sondern auch um Künstlichkeit und „das Schönste, das wir erleben können, ist das Geheimnisvolle“ sagte Albert Einstein und der muss es ja wissen...

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und wünsche Ihnen noch einen angenehmen Abend!

Nina Dunkmann M.A.
LUDWIGGALERIE Schloss Oberhausen